«Parkplätze und Bäume schliessen sich nicht aus» – plan:team-Freiraumexpertin Kristina Noger zum Umgang mit dem «Urban Forest»
Bäume leisten einen wichtigen Beitrag an die Lebensqualität und die Biodiversität in unseren Siedlungen. Sie verringern die Luftverschmutzung und kühlen Städte ab. Die Kronenfläche der Bäume in unserem Siedlungsraum nimmt jedoch laufend ab. Gründe dafür sind die Innenverdichtung und schwierige Wachstumsbedingungen in den beschränkten Platzverhältnissen, aber auch die begrenzten Ressourcen in den Verwaltungen. Doch es gibt Lösungen.
Die plan:team-Expertin für Landschafts- und Freiraumplanung, Kristina Noger, vergleicht in ihrer Abschlussarbeit für den neuen CAS Urban Forestry die öffentlichen Verwaltungen der Stadt Luzern und der Gemeinde Emmen in deren Umgang mit Bäumen und Grünstrukturen im Siedlungsraum: dem sogenannten «Urban Forest». Im Interview schildert Kristina ihre Erkenntnisse.
plan:team: Du hast in deiner Arbeit zwei grosse Gemeinden eines Agglomerationsgürtels untersucht. Heisst das, dass die Frage nach genügend Grün hauptsächlich die urbanen Räume betrifft?
Kristina Noger: Alte Bäume prägen das Ortsbild einer Gemeinde enorm. Dies wird umso mehr ersichtlich, wenn man bedenkt, wie stark die Identität einer Gemeinde bei Neubaugebieten verloren geht. Bäume schaffen attraktive öffentliche Räume, gliedern das Siedlungsgebiet, spenden Schatten, produzieren Sauerstoff, verdunsten Wasser und sind entscheidend für die Biodiversität – Themen also, die auch in Agglomerationsräumen und ländlichen Gemeinden von grosser Wichtigkeit sind.
plan:team: Welche Möglichkeiten haben Gemeinden, um Grünräume zu fördern?
Welche Instrumente für eine Stadt oder Gemeinde schlussendlich die richtigen sind und welche die prägenden und zu fördernden Baumstrukturen sind, ist von Ortschaft zu Ortschaft unterschiedlich und muss jeweils individuell beurteilt werden. Städte haben oft umfangreichere Planungsgrundlagen und mehr finanzielle und personelle Ressourcen – in ländlicheren Gemeinden gibt es dafür aber vermehrt grossflächige Grünräume und alte Bäume, auch in Privatgärten. Aufgrund der grosszügigeren Platzverhältnisse können auch mehr Einzelbäume gepflanzt werden oder sogar Wälder bis unmittelbar ans Wohngebiet bestehen gelassen werden.
plan:team: Heute wird oft von Versiegelung und anderen Nutzungskonflikten im öffentlichen Raum gesprochen: Schliessen sich zum Beispiel Parkplätze und Bäume gegenseitig aus? Oder können Bäume sogar dafür sorgen, dass Parkflächen verträglicher ins Stadtbild eingebunden werden? Anders gefragt: Müssten Bäume in der kommunalen Verkehrspolitik besser mitgedacht werden?
Kristina Noger: Grünflächen mit Bäumen und ohne Fahrzeuge sind natürlich vom «grünen» Standpunkt her gesehen immer besser als Parkplatzflächen mit Bäumen. Parkplätze und Bäume schliessen sich nicht gegenseitig aus, im Gegenteil, die Kombination von Parkplatzflächen und Bäumen kann sogar sehr sinnvoll sein. Ein Baumdach bietet hervorragende Beschattung und wertet die Parkfläche optisch auf. Den Bäumen muss allerdings der nötige Platz, die richtigen Wachstumsbedingungen und Schutz vor mechanischen Verletzungen und Schadstoffen (Hundeurin, Streusalz) eingeräumt werden.
plan:team: Das sind nicht unbedingt gute Bedingungen.
Kristina Noger: Strassenbäume zum Beispiel wachsen an Extremstandorten; sie sind dort Temperaturen von bis zu 60 Grad Celsius ausgesetzt. Daher ist es bei der Verkehrsplanung und beim Einsatz von Bäumen im Strassenraum unverzichtbar, auch deren Bedürfnisse beziehungsweise die Bedingungen zu berücksichtigen, die sie zum Wachsen brauchen. Somit kann sichergestellt werden, dass die Bäume an ihrem Standort älter als 25-40 Jahre werden können, womit längerfristig Ressourcen gespart werden können.
plan:team: Wenn denn der (politische) Wille da wäre und die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung stünden: Ist überhaupt genug Platz vorhanden?
Kristina Noger: Ich kann nur betonen: Bäume brauchen Platz zum Wachsen – der Raum in den Siedlungen ist aber begrenzt. Raumplanung ist deshalb immer ein Abwägungsprozess: Strassen, Parkplätze, Velowege, Innenverdichtung, neue Gebäude, Infrastrukturen wie unterirdische Leitungen, Grünflächen – alles braucht seinen Platz. Aber was soll wieviel Raum erhalten? Klar ist, dass der vorhandene – begrenzte – Raum sinnvoll, nachhaltig und sparsam genutzt werden muss. Bäume können einen sehr wichtigen Beitrag leisten an einen zukunftsfähigen und klimaangepassten Stadt- und Siedlungsraum. Dies durch die vielen verschiedenen Qualitäten, die sie schaffen: Aufwertung des Ortsbildes, Freiraumqualität, Biodiversität, Auffangen von Starkregenfällen etc.
plan:team: Sollte in der Öffentlichkeit, der Politik und den Verwaltungen also ein besseres Bewusstsein dafür geschaffen werden?
Es ist zumindest ein Umdenken angezeigt. Die Leitungen im Untergrund etwa können gebündelt und im Strassenraum verlegt werden, anstatt in den Baumgräben, wo die empfindlichen Baumwurzeln liegen. Der Baumschutz müsste strenger durchgesetzt beziehungsweise in vielen Gemeinden überhaupt erst gesetzlich verankert werden, um die bestehenden Bäume besser zu schützen. Die gesetzlichen Grenzabstände für Bäume können verringert werden, damit bei Neubauten und zunehmender Innenverdichtung überhaupt noch neue Grossbäume auf immer kleiner werdenden Einzelparzellen gepflanzt werden können. Politische Entscheidungsträger:innen müssen sich also die Frage stellen: Was wird bei der Siedlungsentwicklung priorisiert?
plan:team: Zwischen den Gemeinden Emmen und Luzern besteht für die Planung und die Pflege des «Urban Forest» eine erhebliche finanzielle Diskrepanz, auch wenn die Grössen der Gemeinden in die Betrachtung mit einbezogen werden.¹ Auch die personellen Kapazitäten sind in Emmen viel geringer als in Luzern. Haben Gemeinden mit wenig Geld überhaupt eine Chance, die Bäume im Siedlungsraum wirkungsvoll zu fördern?
Kristina Noger: Obwohl der Blick auf den finanziellen Aufwand der Gemeinden vorerst verlockend scheint, kann für Bäume im Siedlungsgebiet auch mit wenig Geld schon viel erreicht werden. Oft können schon klar definierte Kompetenzen und engagierte Einzelpersonen viel erreichen: sie bauen Brücken und suchen den Austausch mit anderen Fachabteilungen, schmieden Bündnisse und Kooperationen, holen das Thema Urban Forestry immer wieder ins Bewusstsein. Es sind einfache Punkte, wo Gemeinden ansetzen können: Wie sehen die vorhandenen öffentlichen Grünräume aus? Ist sich die Bevölkerung überhaupt bewusst, wie wertvoll Grünräume sind? Wie werden Bäume und Baumschutz bei Neuplanungen und Baugesuchen thematisiert?
plan:team: Wie repräsentativ ist deine Arbeit auch für ähnliche Gemeinden der Schweiz?
Kristina Noger: Die Erkenntnisse lassen sich sicherlich auch auf andere Gemeinden im Agglomerationsraum und ländliche Gemeinden beziehungsweise mittelgrosse Städte übertragen. Deren Aufgaben und Probleme sind ähnlich. Es fällt auf, dass in Agglomerations- und ländliche Gemeinden oft noch das Bewusstsein für den grossen Mehrwert der Bäume im Siedlungsraum fehlt. Bei grösseren Städten ist die Wertschätzung für Bäume eher vorhanden; auch stehen mehr Gelder und Fachpersonal zur Verfügung. Dafür ist dort aber die Komplexität bei den Planungen, der Platzmangel und auch der Leidensdruck für Bäume und Menschen, etwa durch Versiegelung und Hitze, noch sehr viel grösser.
Jede einzelne Person kann und soll sich für den Baumbestand in ihrer Stadt oder Gemeinde engagieren, denn die Förderung von Urban Forestry bringt uns alle gemeinsam weiter.
Hinweis: Acht einfache Regeln zum Umgang mit Bäumen im Siedlungsraum stehen hier auf Google Drive im .pdf-Format zur Verfügung. Eine Kurzfassung der Arbeit «Von Bäumen in Emmen und Luzern – Gemeindevergleich zum Thema Urban Forest» wird in nächster Zeit zur Verfügung gestellt. Fragen gerne an: Kristina Noger, kristina.noger@planteam.ch
¹ Jahresbericht 2020 Gemeinde Emmen; Geschäftsbericht und Jahresrechnung 2020 Stadt Luzern
Text: Jan Massey