Wie viel Verdichtung akzeptiert die Schweiz? Das war das plan:team-Kolloquium
Unser jüngstes Kolloquium befasste sich mit dem Thema «Wie viel Verdichtung akzeptiert die Schweiz?». Es wurden vielfältige Positionen gegenübergestellt und gemeinsam Ideen ausgetauscht, um eine nachhaltige Siedlungsentwicklung nach innen zu fördern. Zentrale Erkenntnis: Planung sollte sich noch stärker auf Prozesse, Dialog und Kommunikation fokussieren.
Rund 120 Gäste aus Planung und Politik nahmen am jüngsten plan:team-Kolloquium teil. Nach der Begrüssung durch die Moderatorin Kathrin Fuchs, Fachmitarbeiterin bei plan:team, und Piet Luethi, Inhaberschaft plan:team, übernahmen die Praktikantinnen Sarina Kihm und Suvi Stadler den Einstieg ins Thema: Anhand einer Strassenumfrage präsentierten sie anschaulich, wie ein exemplarisches Verdichtungsprojekt, der Mattenhof in Kriens, bei der Bevölkerung ankommt.
Das Video offenbarte, dass die Bevölkerung sich mit raumplanerischen Themen auseinandersetzt und viele Leute eine Haltung zu verschiedenen relevanten Aspekten entwickeln. Dies zeigte, wie entscheidend es ist, die breite Öffentlichkeit in die fachliche Diskussion über Verdichtung einzubeziehen – nur so lässt sich nachvollziehen, wie die Akzeptanz für Verdichtungsprojekte erhöht werden kann.
Die Strassenumfrage kann hier nochmals abgespielt werden.
Im Zentrum des Kolloquiums standen jedoch die Beiträge der vier Expert:innen, die aus unterschiedlichen Perspektiven die vielfältigen Interessen und Herausforderungen beleuchteten, die mit der Akzeptanz von Verdichtung in der Bevölkerung einhergehen.
Trotz ihrer unterschiedlichen Perspektiven und Berufshintergründe einte sie das gemeinsame Ziel, die Verdichtung voranzutreiben, um Wohnraum zu schaffen, die Zersiedelung einzudämmen und nachhaltige Quartiere in der Schweiz zu entwickeln. Sie präsentierten wertvolle Ansätze, um diese Herausforderungen anzugehen und langfristige, tragfähige Lösungen für eine akzeptierte und zukunftsfähige Verdichtung zu erarbeiten.
Hier geht es zur Präsentation aller Folien.
Hier findet ihr die komplette Videoaufnahme.
Sacha Peter, Chef Amt für Raumplanung und Kantonsplaner Solothurn
Sacha Peter fokussierte sich bei seinem Input auf die Frage, ob der mit RPG1 eingeführten Paradigmenwechsel in der Raumplanung vollzogen ist. Laut Sacha Peter stimmt die Richtung hin zu mehr Verdichtung – aus Sicht des Kantons werden gezielt Prioritäten gesetzt, um Zersiedelung einzudämmen und eine qualitativ hochwertige Innenentwicklung voranzutreiben.
Dennoch betonte Sacha Peter die Notwendigkeit einer grundlegenden Veränderung der Planungskultur. Statt in formellen Verfahren müsse stärker prozessorientiert gearbeitet werden, um Orte ganzheitlich zu entwickeln – einschliesslich ihrer Nutzung, Freiräume und Mobilität. Dabei dürfe das Denken nicht auf Flächen und Linien beschränkt bleiben. Ausserdem plädierte er für eine starke und klare Grundordnung, so dass die Anzahl der Sondernutzungspläne reduziert werden kann.
Hier der Link zu den Folien von Sacha Peter.
Balz Halter, Verwaltungsratspräsident Halter Gruppe
Balz Halter trat am Kolloquium als Vertreter von Urbanistica auf. Urbanistica ist der Titel eines Manifests für eine nachhaltige, qualitätssichernde Raumplanung und für die Schaffung genügend preiswerten Wohnraums. Balz Halter ist ausserdem Verwaltungsratspräsident der Halter Gruppe. Aus seiner Perspektive erklärte er die zentralen Herausforderungen der Verdichtung, darunter Wohnungsknappheit, Verkehrsüberlastung, die Flut von Einsprachen, Zersiedelung und den Klimawandel.
Im Anschluss ging Balz Halter auf konkrete Ansätze ein, um diese Hürden zu überwinden und die Verdichtung gemeinsam voranzubringen. Besonders hob er die Bedeutung aktiver, transparenter und öffentlicher Diskussionen in allen Planungsphasen hervor. Akzeptanz für Verdichtungsprojekte lasse sich nur durch strategische, langfristige, kontinuierliche und berechenbare Planungsprozesse schaffen, die über mehrere Ortsplanungsrevisionen hinweg Bestand haben.
Hier die Präsentation von Balz Halter.
Dr. phil. Andrea Grünenfelder, Sozialpsychologin, dialog&raum
Andrea Grünenfelder warf einen Blick auf die prekären Wohnungssituationen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Zürich: Die «Wohnungsfrage» wurde im Zuge der Industrialisierung und zunehmenden Verdichtung in Arbeitervierteln zu einem Politikum.
Damals zielte die Stadtplanung darauf ab, durch die funktionale Trennung von Wohnen, Arbeiten und Erholung Ordnung, Ruhe und Identifikation zu schaffen. Diese Sozialisierung präge die Lebensweise vieler Schweizerinnen und Schweizer bis heute. Viele Menschen in der Schweiz seien «auf dem Rücksitz des Autos sozialisiert worden», mit welchem man am Wochenende an den Waldrand fuhr, um zu spazieren.
Andrea Grünenfelder betonte dabei, dass Verdichtung nicht nur Herausforderungen birgt, sondern auch ein grosses Potenzial bietet. Sie könne positive Entwicklungen fördern, etwa durch nachhaltigere Lebensweisen und effizientere Raumnutzung. Um der Reaktanz entgegenzuwirken und das Potenzial der Verdichtung sichtbar zu machen, sieht Grünenfelder drei zentrale Handlungsebenen: Kommunikations-, Prozess- und inhaltliche Ebene.
Hier der Link zur Präsentation von Andrea Grünenfelder
Prof. Dr. Stephanie Weiss, Kulturanthropologin und Co-Leiterin des Kompetenzzentrums Stadt – und Regionalentwicklung, HSLU
Abschliessend verdeutlichte Stephanie Weiss aus wissenschaftlicher Perspektive die Ambivalenz der Akzeptanz von Verdichtung, die sich insbesondere im sogenannten NIMBY-Konzept («Not in my backyard») präsentiert.
Dieses Konzept verdeutliche, wie wichtig es ist, die Bevölkerung frühzeitig in Planungsprozesse einzubeziehen. Gemäss Stephanie Weiss hängt die Akzeptanz von Projekten oft davon ab, ob die Interessen und Anliegen der betroffenen Akteur:innen ernst genommen und berücksichtigt werden. Partizipative Ansätze wie Dialogveranstaltungen oder halböffentliche Jurierungen spielen dabei eine Schlüsselrolle, indem sie eine Plattform bieten, auf der unterschiedliche Perspektiven eingebracht und Konflikte frühzeitig adressiert werden können.
Ein hilfreiches Instrument in diesem Prozess ist der Leitfaden für ko-evolutive Innenentwicklungsprozesse, der in Zusammenarbeit mit der HSLU und der Ost entstanden ist. Sie hat ausserdem selbst eine Publikation zur soziokulturellen Entwicklung zwischen Forschung und Praxis mit dem Titel «Was kann Partizipation leisten?» verfasst.
Hier geht’s zur Präsentation von Stephanie Weiss
Podiumsdiskussion: Haben wir Zeit für solche Prozesse?
Der Faktor der Zeit in Partizipations- und Dialogprozessen wurde von allen Expert:innen in deren Präsentation betont. Daher eröffnete David Waltisberg, Fachbereichsleiter Raumplanung bei plan:team, die Podiumsdiskussion mit der Frage, ob wir denn überhaupt genügend Zeit für die notwendigen öffentlichen Diskurse haben, die zu mehr Akzeptanz der Verdichtung führen.
Andrea Grünenfelder stellte die Gegenfrage: «Haben wir Zeit für keine Partizipation? Was passiert mit Blick auf die Dauer von Planungen, wenn wir es nicht tun?» Und für Sacha Peter ist klar, dass die bewährten Muster beim Kanton, den Planungsbüros und so weiter hinterfragt werden sollten. «Wir müssen einfacher und direkter werden». Eines der Fazits: Die Ortsplanung ist eine stetige Aufgabe, in die die Gemeinden jedes Jahr einen adäquaten Betrag investieren sollten.
In diesem Zusammenhang wurde betont, wie wichtig es ist, dass Planer:innen bei Projekten wie Ortsplanungsrevisionen die richtigen Fragen stellen und damit den Dialog strukturieren. Die Komplexität der Interessenabwägung erfordere Expertise, Offenheit und vor allem den Einbezug aller relevanten Akteur:innen – von Behörden über Planer:innen bis hin zu lokalen Gemeinschaften.
Bei einem gemeinsamen Mittagessen in unserem Büro liessen wir das Kolloquium ausklingen.
Wir danken allen Expert:innen und Teilnehmenden für die bereichernden Beiträge und freuen uns darauf, den Dialog in zukünftigen Veranstaltungen fortzusetzen.
Der Austausch und die Diskussion sind zentrale Elemente des Kolloquiums – und genau dafür bietet das Format des plan:team-Kolloquiums eine wertvolle Plattform. Merkt euch bereits jetzt das Datum für das nächste Kolloquium vor – es findet am 22. Mai 2025 statt.