Neue Fallstudie von plan:team-Projektleiterin Theodora Papamichail
Forschung aus dem plan:team: Prozessdesign und Rollenverständnis als Schlüssel bei komplexen Planungen
Die Planungen zum Projekt «Sisslerfeld» (AG) stehen exemplarisch für einen informellen Planungsprozess, wo es verschiedenste Interessen einzubeziehen gilt. Auch, wenn mit Blick auf den Prozess vieles gelungen ist, offenbarten sich wegen der Komplexität des Projekts Unzulänglichkeiten. plan:team-Projektleiterin Theodora Papamichail hat den Prozess wissenschaftlich untersucht. Diese Kompetenz und dieses Wissen bringt sie auch in die Projekte des plan:teams ein.
Das 85 Hektaren grosse Sisslerfeld liegt zwischen den Gemeinden Stein, Münchwilen, Eiken Sisseln und der deutschen Kleinstadt Bad Säckingen am anderen Rheinufer. In den kommenden Jahrzehnten soll hier ein Arbeitsgebiet für Firmen, vordringlich im Bereich der Naturwissenschaften und der Pharma, entstehen. Angestossen wurde die Entwicklung vom Kanton.
Nachdem die bereits in den 1990er Jahren aufgenommenen Planungen mehrmals sistiert wurden, laufen sie seit einigen Jahren wieder. Jüngstes Ergebnis ist eine Testplanung. Mehr Informationen zum Projekt gibt es hier.
Gelungenes Prozessdesign
Den informellen partizipativen Prozess der Testplanung hat plan:team-Projektleiterin, Architektin und Städtebauerin Dr. Theodora Papamichail zusammen mit ihrer Kollegin Ana Peric, Assistenzprofessorin für Stadt- und Regionalplanung, University College Dublin im Rahmen einer Fallstudie (Englisch) wissenschaftlich untersucht. Theodora ist Spezialistin im Bereich Governance und Prozesse in der Raum-, Stadt- und Infrastrukturplanung. Folglich standen Fragen zur Governance im Zentrum der Arbeit.
Unter «Governance» wird allgemein die Zusammenarbeit zwischen Staat, Privatwirtschaft und Interessensgruppen (Verbände etc.) verstanden. In der Schweiz kommt, aufgrund des stark ausgebauten Föderalismus, der eine Zusammenarbeit und Aufgabenteilung der drei Staatsebenen nötig macht und vorsieht, eine weitere Dimension hinzu.
Die Autorinnen stellen den Verantwortlichen und Beteiligten insgesamt ein gutes Zeugnis aus, da u.a. die gegenüber regionalen Planungen traditionell eher kritisch eingestellten Gemeinden dank des gelungenen Prozessdesigns mit adäquater Rollen- und Kompetenzverteilung für die mehrjährige Zusammenarbeit gewonnen werden konnten.
Ressourcenausstattung und Machtverhältnisse als Herausforderung
Der Prozess zeichnete sich insgesamt durch eine vergleichsweise hohe Transparenz und Partizipation der verschiedenen Interessensgruppen, darunter die Bevölkerungen der vier Gemeinden, aus. Dies erhöhte zwar grundsätzlich die Akzeptanz der Planungen, offenbarte aber auch (politisch) nicht zu unterschätzende Unzulänglichkeiten und Grenzen informeller und partizipativer Prozesse.
Grund sind gemäss Theodora Papamichail und Ana Peric hauptsächlich die ungleichen Machtverhältnisse, die aufgrund der unterschiedlichen Ressourcenausstattung der verschiedenen Player bestand. Wichtiger Faktor sind weiter die globalen Marktkräfte wie der Standortwettbewerb (Investor:innen möchten in den Regel innerhalb von ca. drei Jahren ihre Projekte umsetzen). Diese Einflussfaktoren liegen indes ausserhalb des Einflussbereichs der meisten Beteiligten.
Betreffend Ressourcen fehlte bei den Gemeinden etwa das nötige Planungs- und Fachwissen. Damit haben in der Schweiz viele Gemeinden zu kämpfen und die Herausforderung ist mittlerweile hinlänglich bekannt (1) (wie plan:team hier derzeit Unterstützung bietet, lesen Sie in unserem Blogbeitrag). Die Autorinnen erkennen an diesem Punkt denn auch einen der Gründe, weshalb die Gemeinden teils nicht dabei waren, als es um die Auswertung der Ergebnisse der Testplanung ging.
Gezielte Nachwuchsförderung
Laut den Studienautorinnen wäre jedoch der Einbezug von Nicht-Expert:innen gerade in dieser Phase entscheidend gewesen, um die Akzeptanz der Planungen zu erhöhen. Ausserdem nahmen die Grundeigentümerschaften an den wichtigen Workshops der Testplanung teil, während die Bevölkerungen sich nur ganz zu Beginn und nach der Präsentation der Ergebnisse äussern konnten.
Gleichzeitig heben die Autorinnen aber innovative Elemente der Planung hervor, wie den gezielten Einbezug junger Fachleute unter 30 Jahren und aus verschiedenen Disziplinen ins Beurteilungsgremium. Dies im Sinne der konkreten Nachwuchsförderung.
Ein kritischer Blick auf Planungsprozesse und Akteurskonstellationen ist unerlässlich
Die Forschungsergebnisse des Papers werfen also die Frage auf, wie partizipativ und (direkt-) demokratisch Planungen in den Dimensionen des Sisslerfelds überhaupt sein können, wenn innert nützlicher Frist zählbare Ergebnisse erzielt werden sollen.
Umso mehr ist es angezeigt, Prozesse und Rollenverteilung bei Planungen stets kritisch zu hinterfragen. Solche Analysen sollten folglich immer den nötigen Raum einnehmen und gehören zu jedem raumplanerischen und städtebaulichen Projekt. Neben fachlichen Aspekten sind sie genauso wichtig – insbesondere dort, wo es viele (divergierende) Interessen und verschiedenste Ansprüche an den Raum gibt, die politisch auszuhandeln sind. Die Ergebnisse der Untersuchung zum Sisslerfeld bestärken uns in dieser Haltung.
Anwendung in plan:team-Projekten
Mit Theodora Papamichail als Teil unseres interdisziplinären Teams kann plan:team genau diese Stärke ausspielen. In unseren Projekten analysiert und prüft sie die Prozesse, Organigramme, Machtverhältnisse und Interessen mithilfe ihres breiten Hintergrundwissens und theoretischen Werkzeugkastens detailliert und erkennt mögliche Stolpersteine somit schon früh.
Diese Kompetenz hat sie auch in ihrer Doktorarbeit über Synergien zwischen formeller und informeller Planung beim Eisenbahnausbau auf dem Peloponnes, ihrer Heimat, angewandt. Gerne lassen wir sie auch in neue Projekte einfliessen.
Vollständiger Titel der Publikation:
(1) Schweizer Gemeinde 5 | 2019
Text: Claudio Birnstiel