Perspektive III: Raumentwicklung auf der Arabischen Halbinsel
Raumentwicklung auf der Arabischen Halbinsel – mit dem dritten Teil der themenspezifischen Perspektiven exklusiv auf planteam.ch wird unser Reisebericht abgeschlossen. Rund acht Monate bereisten meine Partnerin Lisa Mühlebach und ich¹ das südliche und östliche Afrika in unserem Land Rover Defender. Von Kapstadt über Namibia, Botswana, Zimbabwe, Mosambik, Malawi, Ruanda und Uganda bis nach Kenia erlebten wir Natur und Mensch und erhielten natürlich auch städtebauliche und raumplanerische Einblicke (vgl. Beitrag Perspektive I und Beitrag Perspektive II). Als Abschluss unserer Reise verbrachten wir 3 Monate auf der Arabischen Halbinsel (Emirate, Oman, Saudi Arabien, Jordanien).
Raumentwicklung auf der Arabischen Halbinsel mit Highspeed
Man nehme Platz (viel Platz), verrückte Planer:innen aus aller Welt, viel lokales und internationales Geld und transformiere sich von einem Perltaucher-Kaff zu einem Global Player in Tourismus, Finanzmarktdienstleistungen und Logistik. Das geht locker innerhalb von 2-3 Jahrzehnten – so passiert in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) – und findet Nachahmer in Katar, Kuwait, Oman und seit wenigen Jahren auch in Saudi Arabien (dazu später mehr). Aus planerischer Sicht ist dies im ersten Schritt einfach, schliesslich gibt es weder ein demokratisches System, noch Partizipation oder Verzögerungen wegen Einsprachen. Ein Traum für die Sim-City² Freaks unter den Architekt:innen und Städteplaner:innen.
Schwieriger ist die zweite Stufe: Umgang und Weiterentwicklung im Bestand, Korrigieren vergangener Fehler oder der Umgang mit den negativen externen Effekten. Genau an diesen Punkten stehen Dubai und Co. zurzeit. ÖV-Systeme sind zu wenig dicht und attraktiv ausgebaut oder überlastet, die negativen Effekte des Individualverkehrs spürbar, Grundstückspreise und Einkommensgefälle sehr hoch – und damit auch die Segregation (städtebaulich und sozial).
Auch in weniger exponierten Städten wie z.B. Schardscha in den VAE oder Jeddah in Saudi Arabien lassen sich 4 Grundmuster erkennen:
- Im Zentrum prägen heute Skylines das Stadtbild.
- Freizeitparks am Stadtrand, Malls im Zentrum und eine Waterfront mit Park definieren die Freizeitnutzung (die im Übrigen von Klein bis Gross vor allem in den kühleren Abendstunden stattfindet).
- Der Verkehr wird über das Auto abgewickelt.
- Die hohen Wohnpreise führen zu Arbeiterghettos ausserhalb der Kernstadt, wobei die Arbeiter:innen oft nicht über ein Auto verfügen und lange Arbeitswege in Kauf nehmen müssen.
- Das kulturelle Erbe wird inszeniert bzw. oft fast komplett neu geschaffen (Disney-Land Architektur).
Dubai 2040 – ein fast bescheidener Masterplan
Inzwischen haben verschiedene arabische Städte und Regierungen erkannt, dass ein Festhalten an der aktuellen Entwicklung nicht so einfach zu bewerkstelligen ist. Wasserknappheit, Bodenverbrauch, die negativen Effekte dieser Form von Städtebau und Verkehrsplanung, die CO2-Thematik: Themen die auch im «Arabischen Städtebau» diskutiert werden.
So hat z.B. die Weltstadt Dubai einen Masterplan 2040 entwickelt. Grünflächen sollen verdoppelt, erneuerbare Energien gepusht und die Mobilität neu gedacht werden. Die 15-Minuten-Stadt (in Dubai allerdings 20 Minuten) fungiert auch hier als Leitidee. Klingt in etwa wie bei uns – schliesslich wird auch im arabischen Raum nur mit Wasser gekocht. Ausser bei den Saudis!
Saudi Vision 2030 – noch schneller in die Zukunft
Für viele ein schwarzer Fleck auf der Tourismuslandkarte (erst seit 2019 gibt es für Nicht-Muslime Touristenvisa), befindet sich das Land in einer noch nie gesehenen Transformation. Mit der Saudi Vision 2030 wird (abgesehen von der Staatsform) so ziemlich alles umgekrempelt. Ökonomisch heisst das: Weg vom Öl, Frauen an die Arbeit, weltweite Konkurrenzfähigkeit. Soziokulturell wird eine neue, lebendige Gesellschaft gewünscht. Sie soll Gender-equality bringen, Kultur- und Sportbegeisterung auslösen und ein Bewusstsein für das eigene kulturelle Erbe entwickeln. Explizit erwähnt in der Vision wird auch Urbanismus.
Wie zeigen sich bereits heute die ersten Früchte dieser Vision konkret vor Ort?
- Die Kopftuchpflicht ist gefallen und viele gut ausgebildete junge Frauen sind bereits im Arbeitsmarkt integriert.
- Saudis bezahlen inzwischen Steuern.
- Die touristische Infrastruktur ist im rasanten Aufbau (Luxusresorts am roten Meer, Restauration von historischen Bauten, internationale Events, etc.).
- Enorme Investitionen in städtebauliche Projekte
Gerade der letzte Punkt ist für Interessierte der Stadtplanung spannend: Mit «The Line» planen die Saudis eine 170 km lange Bandstadt (200m breit, 500m hoch). Die Stadt soll vollständig klimaneutral sein, dem Konzept der 15-Minuten-Stadt entsprechen, eine unterirdisches Highspeed Transportsystem haben und 100-200 Milliarden USD kosten. Bis 2030 sollen 1.5 Millionen Menschen dort leben. Wir waren vor Ort: tatsächlich sind auf den ersten 60 km die Aushubarbeiten im Gange.
Ein weiteres beeindruckendes Projekt befindet sich in der Hauptstadt Riad: The Cube / The Muukab. Auch hier purer Gigantismus: ein 400x400x400m Kubus soll Städtebau auf einem neuen Level zeigen. Ein Blick ins Youtube-Video lohnt sich: https://www.youtube.com/watch?v=IANyFzFM4R0
Mit diesen futuristischen Bildern, verrückten Ideen und doch auch fragwürdigen Konzepten schliessen wir die ersten drei Beiträge der Rubrik «Perspektive» ab. Es sind auch zukünftig spannende Inputs im Rahmen von «Perspektive» angedacht.
¹ David Waltisberg arbeitet seit 2016 beim plan:team und bereiste von März 2022 bis März 2023 mit seiner Partnerin im selbst ausgebauten Land Rover Defender den Kontinent Afrika und den Nahen Osten. Wenn er nicht gerade die halbe Welt bereist, arbeitet er bei uns als Projektleiter und Fachleiter Raumplanung. David berichtet unregelmässig über seine raumplanerischen Eindrücke auf planteam.ch.
² SimCity ist ein Videospiel, in dem Städtebau simuliert wird
Text: David Waltisberg